ic_home.gif (115 Byte)

Bunker

bullet7.gif.gif (140 Byte) bei Oelsa

 

  • befestigter, gedeckter Unterstand aus der Zeit des Volksaufstandes in der CSSR
  • unmittelbar unter der Erdoberfläche
  • zylindrische Röhre aus Wellblech (Stahl), Durchmesser ca. 2 m, 5,50 m lang (wurde ca. 2003 entfernt)
  • von innen verriegelbare, runde Einstiegsluke in der Bunkerdecke
  • zwei getrennte Räume, beheizbar
  • die Heide war Bereitstellungsraum sowjet. Einheiten
bunker01.jpg (3730 Byte)

Presseecho:

SZ vom Mittwoch, 13.02.2013

Der Säugling im Sowjetbunker

Pirnas pensionierter Kripochef und seine Fälle. Heute: Genetische Fingerabdrücke führen zur Mutter eines toten Babys.

Von Jörg Stock

Der 28. Februar 1999 ist ein ungewöhnlich milder Wintersonntag. Er fühlt sich fast schon wie Frühling an. Den 14-jährigen Karsdorfer Christian Walter und seine Freunde zieht es zu dieser geheimnisvollen Blechröhre, die im Wald beim Nachbardorf Oelsa eingegraben liegt. Mit den Fahrrädern holpern sie durch die Dippser Heide bis zur eisernen Einstiegsluke und kriechen hinab in die Düsternis. Sie haben keine Ahnung, dass sie ein Grab betreten.

Den erdgedeckten Unterstand der Sowjetarmee gibt es schon lange in der Dippser Heide. Der Wald war Spielwiese der 1. Gardepanzerarmee. Manche sagen, der Bunker sei 1968 erbaut worden, als die Sowjets zur Niederschlagung des Prager Frühlings in die Tschechoslowakei rollten. Genau weiß das keiner. Mindestens zehn solche Wellblechzylinder steckten 1990 laut Forst im Heideboden. Zwar begann man gleich nach dem Truppenabzug, diese Bauten zu schleifen. Doch das kostete Zeit und Geld. Der Bunker bei Oelsa blieb vorläufig stehen.

Als Christian Walter und seine Freunde in die Röhre vordringen, nehmen sie einen eigentümlichen Geruch war. Er scheint von der großen Plastiktüte eines Drogeriemarktes zu kommen, der am Boden liegt. Die Jungs halten das Paket für Müll. Da sie den Bunker nun als ihr Reich in Besitz nehmen wollen, beginnen sie mit der Entrümpelung. Sie wollen die Tüte hinausschaffen. Die ist unerwartet schwer, weil offenbar mit Kieselsteinen gefüllt. Als Christian und zwei weitere Jungs den Sack packen, reißt er auf, und etwas rollt hervor. Es sieht aus wie ein Kinderkopf.

Anstatt zurückzuschrecken, ziehen die Freunde ihren grausigen Fund vollends ans Licht. „Man hat das gar nicht realisiert, dass das ein totes Kind ist“, sagt Christian Walter heute. „Wir waren wohl alle in einer Art Schockzustand.“ Draußen wird es Gewissheit: Ein Kinderkörper. Die Jungs – alle noch ohne Handy – rasen ins Dorf zurück, zur Telefonzelle, und rufen die Polizei.

Säuglingsmord ist ein Verbrechen, das Mitte, Ende der 1990er Jahre häufiger vorkommt. Das ist zumindest der Eindruck von Hauptkommissar Ralf Hubrich. Er kann das nicht mit Zahlen beweisen. „Man hörte es aber vermehrt, auch von anderen Dienststellen“, sagt er. Als er am bewussten Sonntag in der Dippser Heide am Bunkerdeckel steht, liegt sein letzter derartiger Fall schon viele Jahre zurück. Damals, noch zu DDR-Zeiten, wurde ein Säugling tot in einer Jauchegrube am Konsum von Beerwalde gefunden. Die Sache war schnell aufgeklärt. Eine Frau aus dem Konsum-Umfeld, die erst dick und dann wieder dünn geworden war, wurde verhaftet.

Nun, am Bunker, ist alles komplizierter. Die Babyleiche liegt offenbar schon Monate hier. Währenddessen dürften viele Neugierige die Röhre durchstöbert haben, ähnlich arglos, wie die Jungs. Es liegt viel Zeug herum. Zigarettenkippen und anderes mehr. Stammt es von dem, der die Leiche herbrachte? Kaum, denkt Ralf Hubrich. Der wird seine Tat ausgeführt haben und verduftet sein. Trotzdem wird alles gesichert. Es sieht nach viel Arbeit aus. Bald übernimmt die Mordkommission am Dresdner Polizeipräsidium die Angelegenheit.

Die Gerichtsmedizin stellt fest: Das tote Baby war ein Mädchen, entbunden wahrscheinlich im Sommer oder Herbst 1998. Mord wird zwar vermutet, doch gibt es zunächst keine Hinweise darauf. So wendet sich die Polizei an die Bevölkerung: „Wer kann Hinweise zu Frauen geben, die im Jahre 1998 schwanger waren, aber kein Kind haben?“ Der Suchaufruf baut zugleich der Kindsmutter eine goldene Brücke. Sie werde in jedem Fall Gelegenheit erhalten, sich zu erklären, sollte sie sich melden oder ermittelt werden, heißt es darin. Gefahndet wird überdies im MDR-Fernsehen, bei „Kripo live“. In dem Film zur Sendung spielen Christian Walter und seine Freunde aus Karsdorf ihren eigenen Leichenfund nach. Für die Jungs ist das ein Erlebnis, aber auch eine Verpflichtung. Man habe natürlich helfen wollen, sagt Christian.

Tatsächlich gehen zahlreiche Tipps zu schwanger gewesenen Frauen ein. Sie konzentrieren sich zunächst auf die Stadt Rabenau und das Umfeld, in dem Karsdorf und Oelsa liegen. Um herauszukriegen, ob die Kindsmutter unter den Genannten ist, nimmt die Polizei Speichelproben und vergleicht das Material, den genetischen Fingerabdruck, mit dem des toten Babys. Doch die Gentests laufen ins Leere. Bis Mitte Mai finden die Ermittler keine Spur, die zur Babymutter führt. Je mehr Zeit ins Land geht, umso weniger Hinweise trudeln ein. Die Chancen, den Tod des Säuglings aufzuklären, schwinden.

Da kommt eines Tages der entscheidende Bürgerhinweis. Er führt die Polizei nach Freital, zu einer 28-jährigen Frau. Sie ist ledig, scheint geistig zurückgeblieben, lebt mit ihrem 63-jährigen Vater zusammen. Freiwillig gibt sie eine Speichelprobe ab. Und tatsächlich: Der genetische Fingerabdruck passt. Die leibliche Mutter des Bunkerbabys von Oelsa ist gefunden.

Verdacht auf Inzest gegen den Vater

In der folgenden Vernehmung gibt die Frau an, dass sie das Baby im August 1998 gemeinsam mit ihrem Vater zur Welt gebracht hat. Der Vater half bei der Entbindung. Die Polizei nimmt an, dass der 63-Jährige das Baby „in einer spontanen Handlung“ erstickte. Die Tochter ließ er offenbar in dem Glauben, er habe das Kind fortgebracht, damit es an einem anderen Ort aufwachse. Damit gilt die Frau für die Staatsanwaltschaft als unschuldig.

Ihr Vater hingegen kommt in Untersuchungshaft, wo er nicht nur der Kindstötung verdächtigt wird, sondern auch des Inzests – als möglicher Erzeuger des kleinen Mädchens. Die ganze Wahrheit kommt nie ans Licht. In der U-Haft verstirbt der Verdächtige. Er soll krank gewesen sein, heißt es. Das Verfahren hat sich damit erledigt.

Der Bunker in der Heide verschwindet bald darauf. Man lässt einen Bagger anrollen. Der quetscht die Blechröhre zusammen und füllt das Loch mit Erde. Steffen Seyfert, der Revierförster, ist zufrieden. Heute wachsen an dem Fleck wieder Bäume, sagt er. „So wie es sein soll, im Wald.“

ausgang.gif (3582 Byte)

email